Der Leidensweg einer unfreiwilligen Nonne
Von Denis Diderot – Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung
Denis Diderot: „Manch eine Frau stirbt, ohne je den höchsten Genuss der Wollust gekannt zu haben. Dieses Gefühl, das ich mit einer flüchtigen Epilepsie vergleichen möchte, empfinden sie selten, während es uns entgegenkommt, sobald wir es herbeirufen.“
Die Nonne
Zur Einleitung
Beim Buch des Tages greifen wir heute wieder einmal ganz tief in die Kiste der Klassiker. Mit Denis Diderot zudem in die Reihe der Schriftsteller der Aufklärung. Licht ins Dunkel bringen, eines der wesentlichen Ziele der Autoren dieser Zeit. Kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die Dinge so zu sehen wie sie sind, das Entwerfen von Zukunftsbildern, die Literatur sollte das Volk erreichen. Mit der Erfindung das Buchdrucks sowie der weiteren Modernisierung des Drucktechnik konnten Bücher in wesentlich hören Stückzahlen hergestellt werden und wurden somit erschwinglich auch für die kleineren Geldbeutel.
Denis Diderot
Denis Diderot – geboren am 5. Oktober 1713 in Langres (Region Grand Est), französischer Abbé, Schriftsteller, Übersetzer, Philosoph, Aufklärer, Literatur- und Kunsttheoretiker, Kunstagent, so steht es in der ersten Zeile seiner Biografie, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen will. Bei näherem Interesse folgen Sie einfach dem Link unter seinem Namen. Biografisches in Deutsch, für wen es von Interesse sein sollte, gibt es einiges, verfügbar zum Beispiel ein Überblick über Leben und Werk Diderots von Johanna Borek.
Katharina II.
Für erwähnenswert halte ich hier allerdings, wo wir uns doch in einem Blog befinden, der sich mit der Erotik beschäftigt, das Verhältnis Denis Diderots zu Zarin Katharina … der Großen. Ein Projekt zur Reform des russischen Schul- und Ausbildungswesens hatte er ihr unterbreitet, das auch zu einem erheblichen Teil umgesetzt wurde. Beide standen sie in einem regen Briefwechsel und im Jahre 1773 besuchte Denis Diderot St. Petersburg, wo er die Zarin mehrmals traf. Sie war offen für seine Ideen, hielt die aber in Russland nicht für praktisch durchführbar.
Schmähschriften über Katharina II.
Später erklärte Katharina sogar, Denis Diderot verbreite „reines Geschwätz ohne Sachkenntnis und Voraussicht“. Hatte er Katharina lange Zeit stets verteidigt, schrieb er später Schmähschriften über sie. Nun, warum, das weiß man nicht so ganz genau. Vielleicht erreichte er nicht alles was er von ihr wollte, ein Kostverächter soll er nicht gewesen sein.
Denis Diderot verstarb am 31. Juli 1784 in Paris.
Sexualität
Der eingangs zitierte Spruch stammt von Denis Diderot. Wenn man überlegt, dass die Wollust zu den sieben christlichen Todsünden gehört, dann ist die Brisanz einer solchen Aussage in einer Zeit, als die Kirche unanfechtbare Instanz war, spürbar. Sexualität, Stellung der Frau in der Gesellschaft, Themen, die in der Literatur der Aufklärung einen breiten Raum einnehmen. In seinem „Nachtrag zur Reise Bougainvilles“ zeichnet Denis Diderot das Idealbild einer sexuell befreiten Gesellschaft am Beispiel Tahitis, die er der französischen gegenüberstellt. Das ohne Wertung, weil er ständig auf der Hut vor der Kirche sein musste. Wegen seiner radikalen Ansichten wurde er 1746 inhaftiert.
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Der Roman
Wie viele seiner Werke beruht „Die Nonne“ von Denis Diderot auf einer wahren Begebenheit. Der von einer Nonne des Klosters Longchamp (im Westen von Paris) im Jahre 1757 gegen deren Eltern angestrengte Prozess, weil sie die Tochter dazu gezwungen hatten, den Schleier anzulegen. Obgleich der Prozess geheim gehalten werden sollte, drang einiges an die Öffentlichkeit. Doch die Hilfe einiger wohlwollender Bürger halfen der Klägerin am Ende nicht, sie verlor den Prozess und verblieb in den Händen der Geistlichkeit hinter Klostermauern.
Bemerkenswert, der Text erschien zuerst in Deutschland, im Jahre 1792, bevor der Roman erst vier Jahre später, im Jahre 1796, in Frankreich zum ersten Mal verlegt wurde.
Leseproben
Mein Vater war Advokat, er hatte meine Mutter in ziemlich vorgerücktem Alter geheiratet, und sie hatte im drei Töchter beschert. Er besaß mehr Vermögen als nötig war, um sie gut zu versorgen; doch zu diesem Zwecke hätte er seine Zärtlichkeit allen dreien in gleicher Weise zuteil werden lassen müssen; und ich kann ihm leider dieses Lob nicht angedeihen lassen. Zweifellos übertraf ich meine Schwestern durch die Vorzüge des Geistes und der Gestalt; ich war ihnen in Charakter und Talent überlegen; doch es machte mir den Eindruck, als wenn sich meine Eltern darüber betrübten. Wenn jemand zufällig zu meiner Mutter sagte, sie habe reizende Kinder, so durfte mir das niemals gelten …
Entscheidung
Da wir kurz hintereinander zur Welt gekommen waren, so wuchsen wir auch alle drei zusammen auf. Es stellten sich Bewerber ein; meine älteste Schwester erhielt den Antrag eines reizenden jungen Mannes; doch bald bemerkte ich, dass er mich auszeichnete, und ich ahnte, dass sie bald nur der Vorwand für seine häufigen Besuche sein würde. Ich sah es voraus, dass mir dieses Benehmen Kummer bereiten sollte und setzte meine Mutter davon in Kenntnis. Das ist vielleicht das einzige Mal in meinem Leben gewesen, dass ich etwas ihr wohlgefälliges getan habe, und wie wurde ich dafür belohnt? Vier Tage später oder wenigstens doch kurze Zeit darauf sagte man mir, man hätte für mich einen Platz in einem Kloster besorgt …
Gelübde
Endlich rückte der schreckliche Augenblick heran; als ich in den Raum treten sollte, wo ich das Gelübde aussprechen musste, fühlte ich wie mir die Beine den Dienst versagten; zwei meiner Gefährtinnen nahmen mich unter den Arm; mein Kopf sank auf die Schulter der einen, und ich schleppte mich mühsam weiter. Ich weiß nicht, was in der Seele der Anwesenden vorging, doch sie sahen ein junges sterbendes Opfer, das man zum Altar trug, und von allen Seiten hörte ich Seufzer und Schluchzen; nur von meinem Vater und meiner Mutter hörte ich nichts. Denis Diderot „Die Nonne“ – alles lesen>>>
Keuschheit, Armut und Gehorsam
Alle waren aufgestanden, mehrere junge Mädchen waren auf Stühle gestiegen und hielten sich an den Gitterstäben fest. Es trat eine tiefe Pause ein, dann sagte der Priester, der bei meiner Einkleidung den Vorsitz führte:
„Marie Susanne Simonin, geloben sie Gott Keuschheit, Armut und Gehorsam? Mit fester Stimme erwiderte ich ihm:
„Nein, mein Herr, nein.“ Er hielt inne und sagte:
„Mein Kind, fassen sie sich, und hören sie mich an!“
„Monseigneur“, versetzte ich, „sie fragen mich, ob ich Gott Keuschheit, Armut und Gehorsam gelobe, ich habe sie angehört und sage ihnen: Nein!“
Die Oberin
(Auf Druck der Familie stimmte Marie Susanne Simonin schließlich widerwillig dem Eintritt in eine anderes Kloster zu – Anm. Red.)
Ich befinde mich jetzt also in einem anderen Kloster als Postulantin, und zwar hat es den Anschein, als hielte ich mich hier aus freiem Willen auf. In Longchamp wechseln, wie in den meisten Klöstern, die Oberinnen von drei zu drei Jahren. Die Letzte war eine Frau von Monc, welche gerade ihr Amt antrat, als ich in das Haus gebracht wurde.
Sie liebte mich zärtlich
[…] Wenn sie eine Vorliebe zeigte, so wurde ihr dieselbe durch das Verdienst eingegeben; und ich weiß nicht, ob ich sagen darf, dass sie mich zärtlich liebte, und dass ich nicht die Letzte unter ihren Favoritinnen war. Den Namen Favoritin geben die anderen den Lieblingen der Oberin aus Neid. Wenn ich Frau von Monc einen Fehler vorzuwerfen habe, so wäre es der, dass ihre Neigung für die Tugend, die Frömmigkeit, die Offenheit, die Sanftmut, die Talente, die Ehrenhaftigkeit sie beeinflussten, und dass sie recht wohl wusste, dass diejenigen, die keinen Anspruch darauf erheben könnten, dadurch nur noch mehr gedemütigt werden würden …
Qualen
(Nach dem Tod der Oberin von Monc tritt eine Neue ins Amt, die sich an den Favoritinnen der alten grausam rächt – Anm. Red.)
Meine Bittschrift begann in der Gesellschaft Aufsehen zu erregen, und ich erhielt zahlreiche Besuche; die einen machten mir Vorwürfe, die anderen gaben mir gute Ratschläge …
[…] Am vierten Tage fand ein Mummenschanz statt, der den seltsamen Charakter der Oberin ins rechte Licht stellte.
Ich wurde in einen Sarg gelegt
Zum Schluss des Gottesdienstes ließ man mich in einen in der Mitte des Chores stehenden Sarg legen, man stellte Kerzen zu beiden Seiten und einen Weihkessel auf und sprach die Totenmesse, worauf jede Nonne, als sie die Kirche verließ, mich mit Weihwasser besprengte und die Worte dazu sagte: „Requiscat in pace“. Zwei Nonnen hoben sodann das Leichentuch auf, löschten die Kerzen aus und ließen mich, bis auf die Haut vom Wasser durchnässt, mit dem sie mich boshafterweise bespritzt hatten, liegen. Meine Kleider trockneten an meinem Leibe, denn ich hatte keine zum Wechseln. Dieser Qual folgte bald weitere …
Nachbemerkung
Nun wird sich die Leserin oder der Leser (diverse inbegriffen) die Frage stellen: warum „Die Nonne“ in einem Blog für erotische Literatur? Nun ja, es muss doch nicht ständig ums Ficken gehen, oder? Denis Diderot verklausuliert im Roman Liebesbeziehungen wie andere sexuelle Ausschweifungen sehr stark, als solche darf man auch die beschriebenen Grausamkeiten der Nonnen verstehen, verdrängte Lust, die auf diese Art ihr Ventil sucht. Dass zwischen der Oberin von Monc und Marie eine sexuelle Beziehung bestand, ist nicht zu überlesen.
Ein Sakrileg
… in dieser Zeit der Allmacht der Kirche, wenn man bedenkt, dass selbst in der Gegenwart sexueller Missbrauch hinter Kirchenmauern jahrelang vertuscht wurde. Erst auf den letzten Seiten lässt Denis Diderot die Katze aus dem Sack, was die körperliche Liebe unter Nonnen betrifft. Im Kloster Saint-Eutrope, eine lesbische Oberin, die zu Susanne ins Bett steigt, um sich an ihr zu „wärmen“. Wie es dazu kam? Lesen Sie doch selbst>>>
Verfilmungen
Der Roman wurde mehrfach verfilmt. Die erfolgreichste aus dem Jahre 1966 unter der Regie von Jacques Rivette mit Anna Karina in der Rolle der Susanne Simonin und Liselotte Pulver als Oberin. 1966 wurde der Film für die Festspiele in Cannes nominiert.
Die letzte Verfilmung stammt aus dem Jahre 2013, der Film ist noch als DVD verfügbar.
Internationale Starbesetzung
Eine Adaption auf dem Roman unter der Regie von Jacques Rivette als französisch, deutsch und belgischer Co-Produktion mit internationaler Starbesetzung, z. B. Isabelle Huppert, Pauline Étienne und Martina Gedeck. Der Film erlebte am 10. Februar 2013 auf der Berlinale seine Uraufführung. Mehr zu diesem Thema auch in dem im vergangenen Jahr gestarteten Spielfilm „Benedetta“>>>
Der Film
… des Tages, ebenfalls eine Geschichte des Zwangs, des Zwangs zur Prostitution unter Ausnutzung einer Abhängigkeit, in Robin Bains Film
„Girl Lost – A Hollywood Story“
Klappentext: Die Teenagerin Hope wird von ihrer ehemaligen Babysitterin Paige überredet, von Zu Hause auszureißen und eine Modelkarriere in L.A. zu starten. Doch die vermeintliche Modelagentur, die von Paige und ihrer Geschäftspartnerin geleitet wird, entpuppt sich als Falle, um junge Mädchen in die Sexarbeit zu locken.
Drogen und Gewalt
Was mit einem harmlosen Aktfotoshooting beginnt, führt schon bald in die Zwangsprostitution. Auch die junge, alleinerziehende Mutter „Baby Girl“ sieht sich genötigt. ihren Körper zu verkaufen, da ihr wegen ausstehender Mieten die Obdachlosigkeit droht. In diesem Strudel aus Drogen, Gewalt und sexueller Ausbeutung kreuzen sich die Wege der beiden jungen Frauen. Gibt es ein Entkommen? Mehr zum Film mit Trailer>>>
Blog Highlights
Erotische Literatur – Klassik & Moderne | Erotische Fotografie – F. C. Mey & Gäste | Filme nach erotischen Romanvorlagen u. a. | Sexolosophie & Satire |
Lesen Sie auch:
Meine Bücher
Mutterliebe | Chrissys Tagebuch Teile 1 und 2 | Dunkle Perlen | Hemmungslos frivol | Regenwürmer vertragen kein Coffein | Lustreigen – Eine pornografische Adaption |
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Verlorene Generationen I und II | 2021 |
Verlorene Generationen
Roman einer Familie Teile I und IIFlucht und Vertreibung – ein Thema, am Tag der Veröffentlichung des Romans so aktuell wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Der Roman einer Familie, der Roman einer Flucht, der das Wort Mord hinzuzufügen wäre. Die Handlung beginnt im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs in Westpreußen, sie führt den Leser nach Königsberg, von dort, der Krieg bereits beendet, in das Herz des Reichs. Alles verloren, in der Hoffnung, ein kleines Stück Leben, eine neue Heimat zurück zu gewinnen. Lina von Leutenberg sucht verzweifelt Halt, sie schwankt hin und her, die Entscheidung, die Heimat zu verlassen, fällt ihr schwer. Ein Einzelschicksal, das für Unglück und Leid von Millionen steht. | |
Westpreußen - Gut des Barons Albrecht von Leutenberg Die Familie lädt traditionell am Neujahrstag benachbarte Grundbesitzer, Bauern sowie die leitenden Angestellten der Güter und Freunde zu einem Festessen ein. Die Stimmung getrübt, nicht allein weil seit Tagen eine dichte Wolkendecke, die tief über der verschneiten Landschaft hängt, das Gefühl vermittelt, der Pulverdampf der Herbst-Kämpfe an der Ostfront habe sich wie ein durchnässtes Handtuch, schwer und wabernd, über die Köpfe der Menschen hinweg gespannt, was selbst das Atmen zur Last werden lässt. Doch nicht allein das Wetter bedrückt, der seit 1914 tobende Krieg, der größte, den die Welt bis dahin kennenlernte, riss tiefe Wunden in zahlreiche Familien. |
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Die Baronin: Wir kämpften stets für dieses, für unser Land, egal an welchen Herrscher wir unsere Steuern zahlten, und wenn unser Herrgott jemals herab auf diese Erde steigen sollte, dann wird das hier in unserer geliebten Heimat sein ... „Außerdem haben wir den Polen nichts weggenommen“, meldet sich die Baronin abermals zu Wort, „dieses Land gehört uns seit Jahrhunderten, an uns übertragen von denen, die hier seinerzeit die Herrschaft ausübten. Unsere Vorfahren haben Wälder gerodet, Sümpfe trocken gelegt, Straßen gebaut, sie nahmen Land in Besitz, das andere vor ihnen für unbewohnbar hielten." Alle Leseproben>>> |
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Verlorene Generationen- Teil II Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg - das Versprechen, das Alfred Mälzer seiner Frau Lina in Königsberg gab, ihr werde es in seiner Heimat nicht schlechter gehen, versucht er mit allen Mitteln einzuhalten. Von einem Freund getrieben und nach längerem Zögern schließt er sich einer völkisch-nationalen Bewegung an. Hier bekommt er die Anerkennung, die ihm im Elternhaus und seinem früheren Umfeld verwehrt blieb. Doch die Enttäuschungen lassen auch hier nicht lang auf sich warten. |
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In Teil II lernen wir nun auch die Familie des zweiten Teils der Vätergeneration kennen. Werner Kruse, Spross eines sozialdemokratischen Familie, Eisenbahner. Trotz Entbehrungen, die auch seine Familie nach dem Krieg erdulden muss, beginnt er im Jahre 1920 das geplante Studium an einem renommierten Technikum. Eine Dummheit im Sommer davor bringt ihm eine ungewollte Vaterschaft ein. Seine einzige Tochter Hildegard kommt im Jahre 1921 zur Welt. Beide, Kruse und Mälzer kennen sich bereits aus der Schule, es kommt zu einer zufälligen Begegnung, der Anfang von Divergenzen bis hin zu Feindschaften, die über mehrere Generationen hinweg erhalten bleiben werden und somit einen Spiegel der jüngeren deutschen Geschichte mit all ihren Widersprüchen und tiefen Gräben darstellen …Alle Leseproben Teil II |
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